Abb.1.
Diagnostisches Vorgehen bei Eisenmangel mit und ohne Anämie
In Studien an Männer und postmenopausalen Frauen wird in 25-95 % der Fälle mit Eisenmangelanämie bei
entsprechender diagnostischer Abklärung ein gastrointestinaler Blutverlust festgestellt (40). In einer Studie aus
England wiesen 10% der Patienten eine maligne Ursache im Gastrointestinaltrakt auf, was die Notwendigkeit einer
umfassenden diagnostischen Abklärung in möglichst allen Fällen dokumentieren sollte (41). Dabei sind besonders
auf den vorliegenden Schweregrad und die Vorgeschichte des vorliegenden Eisenmangels ganz entscheidend. Ein
leichter Speichereisenmangel ist in Risikogruppen sehr häufig und meist auch plausibel, sodass keine sofortigen
diagnostischen Maßnahmen notwendig sind. Eine Eisenmangelanämie bei einem erwachsenen Mann muss aber
schlüssig erklärt werden können, ansonsten ist von einer gastrointestinalen Blutung auszugehen.
Leichte chronische Sicker-Blutverluste (bis zu ca. 4-6 ml/Tag) können theoretisch aus dem Nahrungseisen
kompensiert. Dabei spielt die hochregulierte Eisenabsorption im Eisenmangel eine große Rolle. Ein chronischer
Blutverlust oberhalb dieser Grenze führt aber ohne eine adäquate Eisentherapie zwangsweise zu einer
Eisenmangelanämie. Eine schwere Eisenmangelanämie ist deswegen immer verdächtig auf das Bestehen eines
Blutverlustes und muss unbedingt Anlass einer gründlichen Untersuchung sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn
es sich um einen Patienten handelt, der nicht zu einer der erwähnten Risikogruppen für Eisenmangel gehört.
Gastrointestinale Blutverluste
Eine gastrointestinale Blutung kann in unterschiedliche Formen eingeteilt werden z.B. nach der Blutungsrate, die zu
unterschiedlichen Leitsymptomen führen:
•
C
hronische, geringgradige Blutverluste Eisenmangelanämie
•
Akute, massive Blutung in der Speiseröhre Hämatoemesis
•
Blutung aus dem Magenbereich Kaffeesatz-Erbrechen
•
Akute Blutung aus dem oberen Intestinaltrakt Teerstuhl
•
Akute Blutung aus unterem GI-Trakt Hämatochezia
•
Die Stabilität des Patienten und die Blutungsrate diktieren die Art und Reihenfolge der notwendigen diagnostischen
Maßnahmen, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann. Umfangreiche bzw. chronische Blutverluste
führen meist zwangsläufig zur langsamen Entwicklung einer Eisenmangelanämie. Abgesehen von den Akutfällen,
bei denen eine Blutung offensichtlich ist, ist eine Eisenmangelanämie häufig das erste diagnostische Zeichen, das
auf eine gastrointestinale Blutung hindeutet (Abb. 1) (42).
Ursache
Häufigkeit (%)
Oberer Gastrointestinaltrakt
80-90
Peptische Ulcera
40-80
Gastritis/Duodenitis
5-30
Ösophagus-Varizen
6-21
Ösophagitis
2-8
Magencarcinom
2-3
Unterer Gastrointestionaltrakt
10-20
Dünndarm
Angiodysplasien
70-80
Meckel-Divertikel
Neoplasien (gut/bösartig)
Dickdarm
Divertikel
17-40
Arteriovenöse Veränderungen
2-30
Colitis
9-21
Neoplasien/Post-Polypenektomie-Blutungen 11-14
Anorektale Ursachen
4-10
Die Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) ist die einfache und bewährte Technik zur Diagnostik von möglichen
Blutungsquellen im oberen Gastrointestinaltrakt bis zum Treitzschen Band. Die totale Coloskopie ist die Methode
der Wahl zur Abklärung von Blutungen im unteren Intestinaltrakt, ca. bei 70 % der Fälle wird ein entsprechender
morphologischer Befund festgestellt (43). Ein Problem sind Blutungsquellen im Hauptteil des Dünndarms, der
endoskopisch von außen nicht direkt zugänglich ist. Eine nichtinvasive Methode ist hier die Videokapselendoskopie,
bei der mit Hilfe einer schluckbaren Kamerasonde mögliche Blutungsquellen im oberen GI-Trakt fotografiert werden
können (44). Alternativ kann in Fällen, bei denen mittels der Routinemethoden nichts gefunden wird, aber klinisch
sicher der Verdacht auf eine Blutungsquelle besteht, eine intraoperative Endoskopie des Dünndarms durchgeführt
werden. Dies ist naturgemäß relativ invasiv (Bauchoperation), findet aber sehr zuverlässig (83-100 %)
Blutungsquellen im Dünndarmbereich (45).
Wenn die Blutungsquelle nach den Routineendoskopieuntersuchungen (ÖGD, totale Coloskopie) nicht gefunden
werden kann, sprechen wir von einem okkulten Blutverlust. Ca. 10-20 % aller Fälle bleiben auf diese Weise meist
diagnostisch unklar. Bei der Hälfte der Fälle verschwindet die Blutung von allein, bei einem Teil der Patienten
persistieren diese meist geringgradigen (Sicker)blutverluste (46). Im folgenden wird eine Technik beschrieben, die
sich bei Patienten mit okkulten Blutverlusten seit vielen Jahrzehnten bewährt hat.
Quantifizierung von okkulten gastrointestinalen Blutverlusten mit dem Hamburger
Ganzkörperzähler
Durch die Entwicklung von sensiblen Ganzkörperzählern zur Messung von Radioaktivität in größeren
Probenvolumina ergab sich in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Möglichkeit, den individuellen
Eisenstoffwechsel bei Versuchstieren und bei Patienten mit Eisenmangelanämie direkt zu untersuchen (47, 48).
Im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wurde früher (Prof. H.C. Heinrich) ein empfindlicher
Ganzkörperradioaktivitätsdetektor für den Einsatz am Menschen betrieben (48). Bei einer Untersuchungsmethode
zur genauen Blutverlustquantifizierung wurde dem Patienten eine kleine Menge (59Fe)Eisenaskorbat (0.56 mg Fe)
oral verabfolgt (Abb. 2)
Abb. 2. 10 µMol 59Fe-Absorptionstest zur Beurteilung der Absorption, zur erythropoetischen Eisenutilisation und zum Verlust von
Eisen aus Blut bei Patienten mit Eisenmangelanämie
Bei hochregulierter Eisenabsorption im chronischen Eisenmangel werden typischerweise mehr als 90 % dieser
Dosis im Dünndarm absorbiert und fast vollständig in das Hämoglobin neu gebildeter Erythrozyten eingebaut.
Störungen der Eisenaufnahme im Sinne einer Malabsorption deuten unspezifisch auf Infektionen, Entzündungen,
Tumorerkrankungen oder auch auf eine Zottenatrophie (Sprue) hin. Nach etwas 10 Tagen ist bei
Eisenmangelpatienten die Einbauphase abgeschlossen und ab diesem Zeitpunkt gibt die intervallmäßige Messung
der 59Fe-Ganzkörperretention eine quantitative Aussage über evtl. bestehende Blutverluste (Empfindlichkeit 2-3
ml/Tag) (Abb. 3).
Abb. 3. Der 10 µMol 59Fe-Absorptionstest zeigt die Hochregulation der intestinalen Eisenabsorption bei
Personen mit Eisenmangel mit und ohne Anämie.
Die Strahlenbelastung ist bei dieser Untersuchung vergleichsweise gering (10 µMol= 0.56 mg Fe, 30-110 kBq 59Fe;
Strahlenbelastung ca. 225-825 µSv; Vergleich natürliche Strahlenbelastung: 2400 µSv/Jahr). Diese Spezialmethode
ist hilfreich vor allem bei komplizierten Fällen, in denen im Rahmen der üblichen ambulanten oder stationären
Untersuchungen keine eindeutige Blutungsquelle gefunden wird. In vielen dieser unklaren Fälle ergeben sich in der
Praxis immer wieder die Fragen:
Blutet der Patient wirklich? immer noch? ungleichmäßig, vielleicht nur als geringgradige Sickerblutung? bei Frauen:
gastrointestinaler oder doch menstrueller Blutverlust?
Die Quantifizierung von Blutverlusten am Menschen durch 59Fe-Markierung und intervallmäßige Messung der
59Fe-Ganzkörperretention liefert ein empfindliches und quantitatives Ergebnis auf menstruelle oder
gastrointestinale Blutverluste. Andere nichtinvasive Methoden (Blut-Pool-Szintigraphie, Angiographie) sind
wesentlich unempfindlicher und zeigen sicher positive Ergebnisse erst bei erheblichen Blutverlusten (ca. 100 ml
Blutverlust/Tag). Negative Hämoccultteste schließen eine gastrointestinale (Sicker)Blutung speziell aus höheren
Darmabschnitten nicht aus. Ein Nachteil der Methode ist, dass keine Information über die genaue Lage der
Blutungsquelle erhalten wird. Allerdings kann aus dem Blutungsmuster (Umfang, Verlauf) empirisch auf bestimmte
Blutungsquellen geschlossen werden. In vielen Fällen mit nachgewiesener gastrointestinaler Blutung wird dann in
einer zweiten Untersuchungsrunde endoskopisch doch eine Blutungsquelle gefunden, bzw. die Indikation für eine
intraoperative Endoskopie des Dünndarms leichter gestellt. Ein typisches Anwendungsbeispiel dieser Methode bei
einem jungen Mann mit rezidivierender gastrointestinaler Blutung zeigt Abb. 4.
Abb. 4.:
Verlauf der 59Fe-Ganzkörperretention bei einem 27-jährigen männlichen Patienten mit rezidivierender
Eisenmangelanämie. Anfangs (linke Kurve) wurde bei dem Patienten eine erhöhte 59Fe-Eliminationsrate von 0.32 % (normal <
0.08 %/Tag) gemessen, entsprechend einem Eisenverlust von 7.5 mg/Tag, bzw. gastrointestinaler Blutverlust von 15 ml/Tag. Bei
der veranlassten Videokapseluntersuchung wurde ein Meckelsches Divertikel als Ursache festgestellt und anschließend
mikroinvasiv entfernt. Nach ca. 12 Monaten bildete sich erneut eine Anämie aus und es wurde erneut eine stark erhöhte
Ausscheidungsrate für Eisen festgestellt (rechte Kurve, 12.9 mg/Tag). Dieser Blutverlust von 32 ml/Tag wurde durch eine 2.
Operation (Entfernung von drei Ulcera in Dünndarmbereich in Höhe der 1. Operation) wohl endgültig beseitigt. In beiden
Blutungsepisoden wurde die Hämoglobinkonzentration (durchgezogene Linie) konstant gehalten durch eine orale Eisentherapie
(Eisenutilisation aus der 100 mg Fe-Tagesdosis: 13. 8 mg/Tag) (49).
Hypermenorrhoe
Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass der normale menstruelle Blutverlust 16-16 ml/mens beträgt und
intraindividuell sehr konstant ist (51). Werte > 80 ml (51) bzw. 115 ml (52) werden als Menorrhagie oder
Hypermenorrhoe bezeichnet, die ohne Eisentherapie zu einer Eisenmangelanämie führen.
Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist eine Menorrhagie die häufigste Ursache für eine Eisenmangelanämie. Ca. 30
% der Frauen klagen über eine starke Regelblutung, ca. 5 % begeben sich deswegen in ärztliche Behandlung (50).
Als häufige Ursachen für verstärkte Regelblutung kommen in Betracht:
•
Uterusmyome
•
Hormonelle Dysregulation
•
Blutgerinnungsstörungen
•
Thrombozytendysfunktion
•
von Willebrand Krankheit
•
Neuere Studien zeigen, dass fast 50 % der Fälle einhergehen mit Blutgerinnungsstörungen verschiedener Art (51).
Eine Diagnostik auch in dieser Richtung ist also dringend anzuraten.
Quantifizierung von menstruellen Blutverlusten mit dem Hamburger Ganzkörperzähler
E
in wesentliches Anwendungsgebiet für die dargestellte Blutverlustquantifizierungstechnik mit 59Fe waren
Patientinnen mit Eisenmangelanämie, bei denen unklar ist, ob eine verstärkte Regelblutung vorliegen könnte. Abb.
5. zeigt die Messung der 59Fe-Ganzkörpereliminationsrate bei einer Patientin mit leichtgradiger
Eisenmangelanämie, die seit ca. 7 Jahren besteht und dessen Ursache bisher unklar war.
Abb. 5. Erhöhter menstrueller Blutverlust (75-147 ml/mens) bei einer Frau mit chronischer Eisenmangelanämie
(Hb 10.9 g/dl)
Mit dieser Technik ist ein erhöhter menstrueller Blutverlust leicht an der treppenförmigen 59Fe-Eliminationsrate zu
erkennen. In einem Intervall zwischen zwei Menstruationen geht kein Blut verloren. Der nominelle Eisenverlust von
umgerechnet 2.2 mg/Tag erscheint gar nicht mal so hoch zu sein, kann aber offenbar von manchen Frauen nicht
durch die Nahrungseisenabsorption kompensiert werden.
In einer Serie von 65 Patienten mit Hypermenorrhoe wurden auch extreme Fälle mit Blutverlusten bis zu 1000
ml/mens gefunden (Abb. 6).
Abb. 6. Häufigkeit von schweren bis leichten von menstruellen Blutverlusten bei 65 Frauen mit Hypermenorrhoe.
Kalibrierung eines anamnestischen Mens-Test
I
m Internet sind verschiedene Mensprotokolle verfügbar (z.B. www.mens-test.de), mit dem Frauen Ihre Regelblutung
auf einfache Weise protokollieren können (Anzahl und Füllungsgrad von Tampons bzw. Bindenmaterial) (Abb. 7).
Sie erhalten durch den Test eine Rückmeldung, ob die Ergebnisse auffällig im Sinne einer verstärkten Regelblutung
sind und ggf. eine Empfehlung, sich an den Arzt Ihres Vertrauens zu wenden. Der Arzt kann mit den
Testergebnissen Schlüsse auf die Regelblutung ziehen und gezielte Untersuchungen einleiten.
Abb. 7: Eingabemaske zu einem anamnestischen Menstest. Frauen geben die Anzahl der benutzen Tampons bzw.
Bindenmaterial ein und erhalten bei Überschreiten eines Score-Ergebnisses eine Rückmeldung, sich ärztlich beraten bzw.
behandeln zu lassen.
In der Eisenstoffwechselambulanz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf haben wir diesen Menstruationstest
an konkreten Fällen überprüft. Mit dieser Technik wurde die Ursache der unklaren Eisenmangelanämie bei 19
Frauen über insgesamt 30 Regelblutungen gemessen (Abb. 8).
Abb. 8. Kalibrierung des Mens-Testes. Unbenommen einer individuellen Schwankung der Ergebnisse, möglicherweise bedingt
durch das sehr unterschiedliche Sanitärmaterial, ergibt sich eine statistisch eindeutige Korrelation.
Der Blutverlust bei einer Regelblutung ist für eine Frau selbst nur schwer zu beurteilen, weil ihr die Messparameter
und die Vergleichsmöglichkeiten fehlen. In allen Fällen lag eine typische Hypermenorrhoe vor, d.h. gastrointestinale
Blutverluste wurden durch die Untersuchung sicher ausgeschlossen. Parallel haben die Patientinnen mit dem
Menstruationstest eine Selbstauskunft über ihren menstruellen Blutverlust erstellt. Die errechneten Blutverlust-
Score-Werte wurden den gemessenen Blutverlusten aus der Ganzkörper-Methode gegenübergestellt. Als Ergebnis
wurde eine statistisch signifikante Korrelation zwischen errechneten und gemessenen Werten erhalten, sodass der
Menstruationstest grundsätzlich eine Aussage über normale bzw. erhöhte menstruelle Blutverluste ermöglicht (Abb.
8). Wenn Frauen einen hohen „Punktescore“ mit diesem Test erhalten, sollte gezielt eine Abklärung durch den Arzt
erfolgen.
Mit dieser Kalibrierung kann man den Eisenverlust gut abschätzen und eine orale Eisentherapie optimal anpassen
Literatur
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Eisenmangelanämie als Symptom
Jeder schwere Eisenmangel außerhalb einer
ausgesprochenen Risikogruppe muss abgeklärt werden,
um die Ursache des „Symptoms“ Eisenmangel
festzustellen (Abb. 1).
.
Eisentherapie
alterthümliche Form der
Eisentherapie. Fruchtsäure löst
kleine Mengen Eisen auf.